Eine kleine Geschichte des Geldes

Ich bin im Sommer 1990 nach Dresden gezogen, hatte durch Vermittlung von Nachbarn eine Wohnung in der Äusseren Neustadt Dresden besetzt, deren Inhaberin vor kurzem verstorben war. Nachdem ich mich durch die nicht mehr so ganz intakte DDR-Bürokratie gekämpft hatte, hielt ich einen WBS (Wohnberechtigungsschein) und kurz danach einen Mietvertrag in Händen: 1.OG rechts, Talstrasse 16, 01099 Dresden, 2 Zimmer, Küche, Kammer, Aussen-WC, 56,64qm, damals 28,26DM, jetzt 119,13€ zzgl. Betriebskosten. Wie ich später erfuhr war meine Vormieterin bis in die 1960/70-Jahre Eigentümerin und veräusserte das Haus damals wohl rechtmässig an den VEB KWV, die Kommunale Wohnungsverwaltung, später WOBA GmbH. Nach dem Verkauf durch die Stadt stiess die GAGFAH 2007 den sogenannten Streubesitz, also Gebäude in Einzellagen ab. Das betraf auch die Talstrasse 16, 01099 Dresden.
Hier lernte ich meine erste Frau kennen, hier arbeitete ich wissenschaftlich an der TU Dresden, hier kamen unsere beiden Töchter zur Welt, hier gründete ich mein Büro mit der Sanierung zahlreicher denkmalgeschützter Wohnhäuser in der Neustadt und des Nymphenbades im Dresdner Zwinger Ich modernisiere und setze Baudenkmale für private Bauherren instand, hier engagiere ich mich gesellschaftlich. Und wenn meine Frau Ihre Praxis aufgibt in einigen Jahren, wäre Ihre sächsische Heimat ein Grund in eine schöne Wohnung mit Gartenanteil am Rande der Äußeren Neustadt zu ziehen. Daher wäre es doch ganz besonders schmerzlich, wenn ich im Endeffekt im Berufungsprozess beim Landgericht Recht bekäme und der Generalbevollmächtigte jetzt räumt.






Vorgeschichte https://de.wikipedia.org/wiki/Woba_Dresden

Am 9. März 2006 beschloss der Dresdner Stadtrat den Verkauf aller Anteile der „WOBA Dresden GmbH“ an die amerikanische Investmentgesellschaft Fortress Investment Group, nachdem im Verkaufsprozess sich die Bieter im Vorfeld zu einer umfassenden „Sozial-Charta“ nicht nur bekennen, sondern dafür auch empfindliche Pönale bei deren Verletzung zu zahlen bereit waren – was auch notariell verankert wurde.  … Dieser Verkauf wurde am 31. März 2006 durch das zuständige Regierungspräsidium Dresden genehmigt, unter anderem deshalb, weil sich die Stadt im Rahmen dieser „Sozialcharta“ Einwirkungsrechte sicherte. Fortress zahlte reichlich 1,7 Milliarden Euro für den Erwerb, erheblich mehr als der damalige Buchwert des Wohnungsbestandes. Nach Ablösung unternehmensinterner Verbindlichkeiten verblieb ein Reingewinn von  insgesamt 987 Millionen Euro. Durch diesen Verkauf wurde Dresden zur ersten schuldenfreien Großstadt Deutschlands, weil die eingenommenen 987 Millionen Euro ausschließlich zur Tilgung der 741,4 Millionen Euro Schulden des kommunalen Haushaltes verwendet wurden. Die Woba Dresden war seitdem ein Tochterunternehmen der GAGFAH S.A., die seit Oktober 2006 börsennotiert war. Seit Januar 2008 trat die Woba ausschließlich unter dem Namen ihres Mutterkonzerns GAGFAH S.A. auf, wurde jedoch intern als eigenständige Gesellschaft weitergeführt.


Wie mache ich 500.000€ steuerfreien Gewinn?

Bereits in den 90er-Jahren stellten meine damalige Ehefrau und ich bei der STESAD GmbH, der städtischen Sanierung- und Entwicklungsgesellschaft, die die Häuser im Sanierungsgebiet Äussere Neustadt treuhänderisch übernahm, einen Kaufantrag um als Baugemeinschaft das Gebäude instandzusetzen und zu modernisieren. Dazu kam es aber nie. Als nun die GAGFAH das Haus 2007 über eine Maklerin zum Höchstgebot anbot, wollten wir gerne ein Angebot abgeben. Dazu kam es aber nie! Denn ich erinnere mich noch genau an einen Anruf der Maklerin, dass der GAGFAH-Vorstand in Essen das Gebäude schon direkt, ohne Angebote abzuwarten, an drei Herren in Dresden weitergereicht hat, die FDR „Talstrasse 16“ GbR . Für 140.000€, schon damals weit unter Wert, denn schon allein aufgrund der damaligen Durchschnittsmiete wäre ein Kaufpreis von 200.000€ angemessen gewesen und auch von uns geboten worden. Damit handelte der damalige Vorstand Und wenn ich die Informationen aus dem Stadtplanungsamt richtig verstanden habe, dann wurden mit dem WOBA-Verkauf die Objekte, die im Sanierungsgebiet lagen, von einigen Beschränkungen des Sanierungsrechts ausgenommen.
Als Mieter*innen hatten wir nun erwartet, dass die Modernisierungsankündigungen ins Haus flattern. Doch es tat sich nichts. Damit war klar: die Herren Gunter Finsterbusch, Dathe und Tino Raabe, damals übrigens Geschäftsführer bei dem so wohlklingenden Bauträger „Unser schönes Dresden“, heute Firmengruppe FIRA GmbH, warten die Spekulationsfrist von 10 Jahren ab – ist ja was die Wertentwicklung betrifft ein äusserst optimales Timing – und verkaufen an den Nächsten. Nachdem ihre Kaufpreisforderung von über 804.000€ auch für den überhitzten Immobilienmarkt in Dresden völlig überzogen waren, gab es 2020 Erwerber, die bereit waren 670.000€ zu bezahlen. Dabei hatten wir Mieter:innen den Herren 423.000€ geboten, wären ja immerhin ca.220.000€ Nettogewinn gewesen, wohl zu wenig und voilá, über 500.000€ Netto-Gewinn, leistungslos, steuerfrei.

Da bleibt nur Hans-Jochen Vogel und andere zu zitieren: https://vimeo.com/ondemand/legislatingarchitecture/205952696?autoplay=1
Warum schweigt die Gesellschaft dazu? 
Warum steht das nicht auf der Tagesordnung der Politik? 


Und wie geht’s weiter?

Kaufpreise von über 1.000€/qm Wohnfläche für ein unsaniertes Haus können, ja dürfen nach geltendem Modernisierungsrecht gar nicht, von Bestandsmieter*innen refinanziert werden (Kappungsgrenze). Die neuen Eigentümer*innen müssen das Haus entmieten, in Eigentumswohnungen umwandeln und für mind. 4.000€/qm verkaufen oder mind. 18€/qm Wohnfläche netto kalt verlangen, wollen sie das Investment refinanzieren. Denn der Sanierungsaufwand muss auf mindestens 2.500€, eher 3.000€/qm angesetzt werden. Oder die Erwerber*innen stammen aus Milieus, die immer wieder mit Wirtschaftskriminalität in Verbindung gebracht werden. Was dies alles für den Stadtorganismus bedeutet, brauche ich hoffentlich nicht zu erzählen, das sollte bekannt sein. Und daher ist Bodenpolitik auch Baukultur. 
Mittlerweile wurde die Talstrasse 16 für 670.000€ an eine Zahnärztin und einen Gynäkologen, vertreten durch einen Generalbevollmächtigten verkauft und fast alle Mieter*innen haben vor der Klageandrohung des Rechtsanwalts kapituliert, obwohl Verwertungsklagen im Wohnungsbau keinerlei Aussicht auf Erfolg haben. Alle Mietparteien wären mit einer angemessenen Modernisierungsvereinbarung einverstanden gewesen. Aber damit wäre ein so hoher Kaufpreis nicht zu refinanzieren. Jetzt wird billig und unambitioniert gebaut, schade um das Denkmal. Es besteht die Befürchtung, dass die Wohnungen zu Eigentumswohnungen umgewandelt werden.

Kommentare

  1. Die DNN hat die Veröffentlichung dieser Geschichte mit dem Hinweis, das sei alles gesetzeskonform, abgelehnt.

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  2. Danke für die Infos und die Links!
    Das ist ja doch eine heftige Schieflage!

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